Hans Näf  Leben und Wirken

 

 

 

 

   Zum Schreibprozess

 

   Die ersten 7 Jahre

   in der "Heimat" in

   Wolhusen

 

   In der Klosterschule

   Engelberg

   1. bis 8. Klasse

 

   Kriens Alpenstrasse

   ab Ostern 1931

 

   1948 - 52 Studium

   an der Universität

   Basel und die

   grosse Liebe

 

   1946/47 zwei

   Semester in Paris

 

   Militär

 

   1945/46

   Familienleben

 

   1945/46 Studium

   an der Universität

   Zürich

 

   Die Zeit nach 1959

 

   Schulpsychologe in

   Basel 1959 - 73

 

  Meine eigene

  Familie in Meggen

 

   Meine Zeit als

   Sekundarlehrer

 

   Bergsteigen und

   Skifahren

 

   Erlebte

   Schulgeschichte

Erlebte Schulgeschichte und Gedanken dazu

 

Immer wieder lese ich Widersprüchliches über die Schule, wie schlecht sie geworden sei, was Fachleute über das Lernen denken, wie Eltern die Erziehung an die Lehrer delegieren, diese überlastet und unterbezahlt seien, die Klassen viel zu gross, Schulreformen von oben eine Illusion, wie Schule halten heute viel schwieriger sei als vor 50, 40, 20 Jahren.

 

Natürlich denke ich mir meistens etwas dazu, schliesslich ging ich auch zur Schule und habe dort auch denken gelernt. Habe ich? Im Kindergarten kaum, denn diesen besuchte ich nur einen einzigen Tag, dann weigerte ich mich wieder, zu den vielen Kindern, zu den dunklen Schwestern in das finstere Zimmer zu gehen. Ich glaube, meine Mutter freute sich, dass ihr kleiner Hansi lieber bei ihr zu Hause blieb, als sich mit den Schrecken der Welt auseinanderzusetzen. Da auch mein Vater einverstanden war und es noch keine Behörden, Ärzte, Psychologen gab, die mitreden konnten, durfte ich ein weiteres Jahr Frühförderung im Schoss der Familie geniessen.

 

Am ersten Schultag fotografierte mich mein Vater, wie ich stolz, mit dem Schulsack am Rücken, unter der Haustür stand. Fünf Jahre und fünf Monate lang war ich Primarschüler. In der ersten Klasse fühlte ich mich hie und da unwohl. Die Lehrerin war zwar zufrieden mit mir, schimpfte aber oft mit Kindern, die etwas nicht konnten. Das war mir irgendwie unheimlich, musste aber wohl so sein, und sie beklagte sich nicht über mich und gab mir gute Noten. Warum viele Kinder sie nicht mochten, begriff ich damals nicht recht. Heute vermute ich, dass sie damals im Seminar noch gelernt hatte, mit schwachen Schülern müsse man besonders streng sein, sonst würden sie nichts lernen. Während der ganzen weiteren Primarschulzeit ging ich ohne Probleme zum Unterricht, war weder aufsässig noch ängstlich und lernte leicht, sodass der Lehrer mich für das Gymnasium empfahl.

 

Da Klosterschulen einen besonders guten Ruf genossen, kam ich ins Internat zu den Benediktinern des Klosters Engelberg, wo ich 8 Jahre blieb und eine humanistische Bildung mit Griechisch und Latein genoss. Das galt damals als das Feinste vom Feinen.

Am Ende des ersten Quartals waren meine Schulleistungen derart miserabel, dass der Rektor den Eltern empfahl, für mich eine geeignetere Schule zu suchen. Ich sei zu dumm für das Gymnasium, schrieb er ihnen. In den Weihnachtsferien büffelte mein Vater mit mir Latein und entdeckte, dass ich keine Ahnung hatte, wie man vorgehen musste, um sich etwas einzuprägen. „Es kommt auf die Zahl der Male an“, schrieb er auf ein Plakat, das er über mein Bett hängte. Das hiess für mich: „Wenn du etwas behalten willst, darfst du es nicht nur einmal lesen, sondern so oft, bis du es auswendig hersagen kannst.“ Die väterliche Intervention bewirkte, dass der Rektor an Ostern, als er uns das Zeugnis für das zweite Quartal schickte, schrieb: „Ihr Sohn ist nicht zu dumm, er kann bleiben.“

 

Aus dem Notendurchschnitt wurde für jedes Zeugnis eine Klassenrangliste erstellt. Ich rückte im Verlauf der Jahre vom Ende bis etwa in die Mitte vor. Jährlich wurde den Klassen der Schwanz abgeschnitten und von der oberen Klasse kam Ersatz, wenn Nichtbeförderte repetierten. Viele verschwanden aber endgültig aus der Schule.

 

Wer die strenge Schulordnung grob oder dauernd leicht missachtete, wurde entlassen. Trotz des strengen mönchisch-militärischen Rahmens und des enormen Lerndrucks fühlte ich mich 8 Jahre lang wohl. Ich kannte ja nichts anderes und freute mich nach jeden Ferien, wieder nach Engelberg fahren zu können. Die Wiedersehensfreuden fingen schon in Luzern an, wo wir alle mit dem gleichen Schiff nach Stansstad und von dort mit der Bahn nach Engelberg fuhren. Mit den Kameraden fühlte ich mich wohl und viel freier als in der Familie. Niemand korrigierte das Benehmen, die Kleidung, die Manieren, und es lief immer etwas. Schon auf dem Schiff fing es an, wenn wir uns alle auf einer Seite versammelten und so das Schiff in eine Schieflage brachten. Dabei war mir zwar immer auch ein wenig unwohl, da die Schiffsbesatzung dagegen protestierte und ich genau wusste, dass dieser Unfug verboten war. Ähnlich ging es mir auch in der Schule, wenn wir einen Lehrer absichtlich ärgerten. Ich machte zwar manchmal mit, aber mit schlechtem Gewissen. Wenn ich aber fand, er hätte es durch sein blödes Verhalten verdient, dann aktiv und ohne Hemmungen. In den oberen Klassen entwickelte ich den Mut, gegen den Strom zu schwimmen, wenn ich es ungerecht fand oder wenn mir der „Geschollene“ leid tat. Das hing sicher damit zusammen, dass ich durch recht gute Schulleistungen und sportliche Erfolge an Selbstvertrauen gewonnen hatte und einige Freunde jeweils zu mir hielten. Auch war es mir ab etwa dem 14. Lebensjahr ein Anliegen geworden, meinen Charakter bewusst zu entwickeln. Ich wollte ein ehrlicher, mutiger und rücksichtsvoller Mensch werden. Die Themen Persönlichkeitsentwicklung, Selbsterziehung, soziales und unsoziales Verhalten wie Egoismus, Rücksichtslosigkeit, Nächstenliebe, wurden von einigen Lehrern und vor allem von den Präfekten immer wieder angesprochen und mit uns diskutiert. Dadurch wurden wir systematisch zur Selbsterziehung angeleitet.

 

Ich bin überzeugt, dass dies heute in den Gymnasien in der Regel zu kurz kommt und die „Bildungselite“ zwar viel Wissensstoff mitbekommt, zur persönlichen und sozialen Entwicklung aber nicht bewusst, geschweige denn geplant angeleitet wird. Vielfach hört man ja auch die Meinung, Charakterbildung sei eine Aufgabe des Elternhauses und dürfe nicht auch noch der Schule aufgebürdet werden. Selbstverständlich wurden diese Themen in der Klosterschule im  Zusammenhang mit der religiösen Erziehung behandelt, wie das heute wohl oft noch im Religionsunterricht geschieht. In normalen Schulunterricht wird die wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe der Erziehung dagegen nur am Rand beachtet. Im Internat und in der Schule wurden christliche Moral (10 Gebote), Gehorsam, Fleiss, Pflichterfüllung, asketische Lebensführung ( bewusstes Verzichten auf Vergnügen, Bequemlichkeit, sich körperlich abhärten, Selbstbeherrschung, Gehorsam), systematisch gefördert. Ich war ein sehr gelehriger und überzeugter Anhänger des Systems, gläubig und eifrig. Die allabendliche Andacht mit Gewissenserforschung, Reue und Vorsätzen für den nächsten Tag prägten mein Denken, Fühlen und Handeln zutiefst. Nicht alle Kameraden liessen sich derart radikal prägen, die Richtigkeit des ganzen Systems aber wurde nicht bezweifelt, auch nicht von den Patres, die unsere Lehrer und Erzieher waren. In ähnlicher Richtung wirkte die Erziehung zum Patriotismus, da das bedrohte Vaterland tapfere und gehorsame Verteidiger brauchte. So rückte ich l944 charakterlich wohl vorbereitet für 17 Wochen in die Infanterie Rekrutenschule nach Luzern ein. Wie ich diese und die weiteren Militärdienste erlebte, berichte ich gesondert.

 

Nach der Matura ging die schulische Ausbildung an der Universität weiter. Diese ist in den letzten 50 Jahren zu einer Schule mit  Prüfungen in jedem Fach und in jedem Semester umgestaltet worden. Die Bewältigung eines klaren Curriculums wird dauernd überprüft. Wer ungenügend ist, muss repetieren oder gar das Fach wechseln. Wenn man mit guten Noten und in vorgeschriebener Zeit alle Anforderungen bewältigt, kann man das Hindernisrennen fortsetzen, bis man genügend „Credits“ beisammen hat. In meiner Studienzeit gab es Vorlesungen und Seminare, die von den Professoren angeboten und von den Studenten belegt wurden. Verbindliche Curricula gab es nicht. Je nach Fachrichtung und Fakultät waren die Professoren in der Auswahl und der Gestaltung des Stoffes völlig frei. Als Student konnte ich mich zwar von einem Assistenten, wenn es einen gab, von einem älteren Studenten oder gar vom Professor beraten lassen. Aber im Grunde musste man sich das Studium weitgehend selber organisieren. Man könnte sagen, dass man uns in einem Wald herumirren liess und wir den Ausgang weitgehend selbständig finden mussten. Für mich war diese Freiheit mit Unsicherheit, mit Zweifeln an mir und meinen Fähigkeiten, den richtigen Weg zu finden, verbunden. Ich wusste nie, wo ich mit meinem Studium stand, und das belastete mich oft. Es war nicht nur goldene Freiheit und Lebensfreude. Ich war gezwungen, selber zu entscheiden, welche Vorlesungen und Seminare ich innerhalb der gewählten Fächer besuchen wollte, in welcher Reihenfolge welche Bücher zu lesen waren. Von Anfang an wusste ich, dass ich Psychologie studieren wollte und dabei Philosophie als erstes Nebenfach obligatorisch war. Das zweite konnte ich frei wählen. In den 11 Semestern meines Psychologiestudiums habe ich in keinem Fach eine Arbeit abliefern oder eine Zwischenprüfung bestehen müssen. So etwas gab es noch gar nicht. Nur die Fächervorschriften für die Sekundarlehrerausbildung, die ich neben dem eigentlichen Studium  vorbereitete, gaben mir eine gewisse Struktur. Nach 9 Semestern  Psychologie bat ich Professor Probst um ein Dissertationsthema.  Er hiess mich über die Ursachen der Jugendkriminalität, die erschreckend zunehme, zu forschen. Anhand von Akten des Jugendgerichtes Baselstadt konnte ich das Thema völlig selbständig bearbeiten. Nach einer einzigen Rücksprache mit dem verantwortlichen Professor legte ich die Arbeit nach knapp 2 Jahren der Fakultät vor. Sie wurde akzeptiert und ich wurde zu den mündlichen Examina zugelassen. 1 ½ Stunden dauerte die Prüfung bei den Psychologie-Professoren Probst und Kunz,  je ¾ Stunden beim Philosophen Jaspers und dem Historiker Bonjour,  alle im Beisein des Dekans der Fakultät, Prof. Salin. Da ich die Prüfungen alle  bestanden hatte, erhielt ich nach einigen Tagen mein Diplom:

 

IOANNEM NÄF Lucernensem,

Examine rigoroso die V mensis decembris anni MCMLII superato

Doctrinam suam magna cum laude comprobavit

PHILOSOPHIAE DOCTOREM ET ARTIUM LIBERALIUM MAGISTRUM

 

 

 

 

 

 

 

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